Gentechnik: Identifizierung und Lokalisierung von Genen

Gentechnik: Identifizierung und Lokalisierung von Genen
Gentechnik: Identifizierung und Lokalisierung von Genen
 
Für die Gentechnologie ist es von entscheidender Bedeutung, Gene zu erkennen und sie zu lokalisieren, also ihre Lage auf einem bestimmten DNA- oder Chromosomen-Abschnitt festzustellen. Dies ist keine triviale Aufgabe, wie sich leicht an den folgenden Zahlen am Beispiel des menschlichen Genoms erkennen lässt. Der Mensch hat nach heutigen Schätzungen zwischen 50 000 und 100 000 Gene. Davon sind bis heute etwa 5000 bekannt. Nur ein kleiner Teil davon ist lokalisiert. Die 5000 Gene verteilen sich auf 23 Chromosomen, die wiederum circa drei Milliarden Basenpaare DNA enthalten.
 
Der codierende Bereich eines Gens ist etwa 1000 Basenpaare lang, sodass die 5000 bekannten menschlichen Gene etwa fünf Millionen Basenpaare umfassen. Daraus folgt, dass diese 5000 bekannten Gene nur etwa zwei bis drei Tausendstel der gesamten menschlichen DNA ausmachen.
 
Selbst mit der geschätzten Gesamtzahl aller Gene des Menschen (rund 50 000 bis 100 000) kommt man nur auf etwa 100 Millionen Basenpaare, die für die Gene notwendig sind. Dies bedeutet, dass vermutlich nur etwa 3 Prozent der DNA des Menschen codierende Funktion besitzt (Exons). Die restliche DNA besteht aus den Introns und den Zwischenbereichen sowie einer großen Menge »repetitiver« DNA, für die keine Funktion bekannt ist. Aus diesen Zahlen wird ersichtlich, dass es nicht einfach ist, in einer solchen Menge von DNA diejenigen Abschnitte zu finden, die tatsächlich Gene sind.
 
Welche Möglichkeiten gibt es, Gene zu identifizieren? Man muss unterscheiden zwischen klassischen und molekularen Methoden zur Genidentifizierung. Schon Mendel hat im Prinzip Gene mit seinen Kreuzungsanalysen identifiziert, wenngleich er nicht in der Lage war, die Gene zu lokalisieren. Ein Gen ist dann relativ leicht zu identifizieren, wenn von ihm unterschiedliche Allele existieren. Vererben sich solche Allele nach Mendels Regeln, kann man sicher sein, dass es sich um ein Gen handelt.
 
 Identifizierung durch Mutagenese
 
Schwieriger wird es, wenn keine natürlichen Allele von einem Gen vorhanden sind. In einem solchen Fall wird in der Genetik üblicherweise eine Mutagenese durchgeführt, also eine DNA-Veränderung erzeugt. Bei der Mutagenese wird der Organismus bestrahlt oder mit Chemikalien behandelt, die die DNA schädigen. Solche Behandlungen führen sehr häufig zu bleibenden Genveränderungen, Mutationen, die im schlimmsten Fall zu einem völligen Ausfall des betreffenden Gens führen können (Nullmutationen). Der Ausfall der Funktion eines Gens gibt Hinweise darauf, welche Funktion das intakte Gen in einem Organismus hat. Bei Modellorganismen wie der Bäckerhefe oder der Taufliege Drosophila melanogaster sind auf diese Weise Tausende von Genen identifiziert und vielfach auch in ihrer Funktion aufgeklärt worden. Umgekehrt ist bei der Untersuchung von Drosophila melanogaster mit Röntgenstrahlen auch die erbschädigende (mutagene) Wirkung dieser Strahlen durch Hermann Joseph Muller (Nobelpreis für Medizin 1946) entdeckt worden. Nach wie vor wird das klassische Verfahren der Mutagenese zur Identifizierung von Genen angewendet. Im Jahr 1996 haben Christiane Nüsslein-Volhard, Eric Wieschaus und Edward Lewis für eine Mutagenese, die zur Entdeckung der wichtigsten Entwicklungsgene führte, ebenfalls den Nobelpreis für Medizin erhalten.
 
 Identifizierung durch cDNA
 
Gene können auch dadurch identifiziert werden, dass ihre Basensequenz bestimmt und mithilfe bioinformatischer Methoden analysiert wird. Neben der Analyse der DNA in den Chromosomen, die leider eine Fülle von nicht codierender DNA und nur einen geringen Anteil an Genen enthält, besteht die Möglichkeit, die mRNA zu isolieren, die keine Introns mehr enthält. Leider ist RNA sehr empfindlich und nur schwer handhabbar. Man kann aber im Reagenzglas die mRNA in DNA — die cDNA — umschreiben und diese cDNA analysieren. cDNA (= complementary DNA = zur RNA komplementäre DNA) ist in einem ihrer beiden Stränge zu der RNA komplementär und entspricht in ihrer Basensequenz der Ausgangs-RNA.
 
Die RNA (und damit auch die cDNA) aus einem bestimmten Organ oder Zelltyp besteht aus den transkribierten Abschnitten und repräsentiert damit letztlich die aktiven Gene. Auf diese Weise lassen sich über den Umweg über die RNA/cDNA eines Organismus die genenthaltenden Abschnitte der DNA in reiner Form isolieren.
 
Gene mithilfe der cDNA zu isolieren, funktioniert sehr gut bei allen Genen, die häufig und in vielen Geweben transkribiert werden. Gene, die ständig aktiv sind, bilden auch viel RNA, sodass daraus auch in großen Mengen cDNA synthetisiert werden kann. Es liegt aber in der Natur vieler Gene, dass sie nur manchmal aktiv sind. Es gibt Gene, die überhaupt nur in ganz wenigen Zellen eines Organismus oder nur über einen ganz kurzen Zeitraum eines bestimmten Entwicklungsstadiums aktiv sind. Die RNA, die zu diesen Genen führen könnte, wäre in einer cDNA viel zu selten enthalten, um sie analysieren zu können. Für solche Gene bleibt eigentlich nur die Identifizierung über die Analyse der genomischen DNA, denn diese DNA enthält natürlich alle Gene, die ein Organismus jemals in seinem Leben braucht.
 
 Lokalisierung von Genen
 
Für viele Fragestellungen in der Genetik ist es wichtig zu wissen, auf welchem Chromosom und an welchem Ort (Locus) in einem Chromosom ein Gen lokalisiert ist.
 
Die klassische Art, Gene zu lokalisieren, geht auf die Entdeckung von Thomas Hunt Morgan zurück, dass Gene Kopplungsgruppen bilden. Gene in derselben Kopplungsgruppe liegen auf demselben Chromosom. Morgan und sein Schüler Alfred Henry Sturtevant erkannten, dass Gene umso fester aneinander gekoppelt sind, je näher sie räumlich auf dem Chromosom beieinander liegen. Diese Beziehung kann man hervorragend dazu nutzen, um die relative Lage der Gene zueinander zu bestimmen. Man bestimmt den Grad der Kopplung zweier Gene durch eine Testkreuzung und stellt fest, in wie viel Prozent der Fälle eine Rekombination durch Crossing-over zwischen den Genen stattgefunden hat.
 
Dieser Wert ist direkt proportional zum relativen Abstand der Gene. Zu Ehren von Thomas Hunt Morgan wird heute dieser relative Genabstand in Centimorgan gemessen.
 
Diese Art der Genlokalisation lässt sich natürlich nur dann leicht durchführen, wenn es sich um Gene eines Organismus handelt, der für Kreuzungsgenetik geeignet ist, wie etwa bei Drosophila melanogaster oder bei der Maus. Geeignet sind Organismen nur dann, wenn sie sich leicht und schnell züchten lassen, wenn eine Vielzahl von Genen bereits bekannt ist und möglichst viele Allele dazu vorhanden sind. Drosophila melanogaster hat darüber hinaus auch noch den Vorteil, dass in bestimmten Geweben der Larven dieser Tiere Riesenchromosomen ausgebildet werden, die eine Genlokalisation erheblich erleichtern, weil auch relativ kleine Veränderungen der Chromosomen oft schon mit dem Lichtmikroskop zu erkennen sind.
 
Für den Menschen scheidet selbstverständlich ein solches experimentelles Verfahren aus. Trotzdem können Gene auch beim Menschen aufgrund von Familienstammbaumanalysen lokalisiert werden.
 
Von großer Bedeutung sind dafür Familien, die über möglichst viele Generationen viele Mitglieder haben und in denen sich der Erbgang bestimmter Allele verfolgen lässt. Hierbei wird heutzutage nicht nur auf sichtbare Merkmale zurückgegriffen, sondern cytogenetische, biochemische, anatomische und molekulargenetische Eigenschaften werden in die Kopplungsanalyse einbezogen.
 
 Genlokalisation durch In-situ-Hybridisierung
 
Mit der zunehmenden molekularen Verfügbarkeit von Genen und anderen DNA-Abschnitten auch aus dem menschlichen Genom gewinnt die Methode der In-situ-Hybridisierung (in situ: lateinisch für »in der natürlichen Lage«) mehr und mehr an Bedeutung. Die am meisten angewendete Methode ist die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH), bei der ein Gen oder ein DNA-Abschnitt mithilfe des Fluoreszenzmikroskops lokalisiert werden kann. Das Prinzip der In-situ-Hybridisierung liegt wie bei jeder anderen molekularen Hybridisierungsreaktion darin, dass eine einzelsträngige DNA oder RNA mit einem anderen Nukleinsäurestrang, der die komplementäre Basensequenz trägt, einen sehr stabilen Doppelstrang bildet. Diese Reaktion ist unter entsprechend gewählten Versuchsbedingungen sehr spezifisch. Bei der In-situ-Hybridisierung geht es darum, ein Gen oder einen DNA-Abschnitt im Chromosom aufzufinden. Jedes Chromosom enthält in jeder Chromatide einen DNA-Doppelstrang. Dieser DNA-Doppelstrang kann durch Hitze- oder Laugenbehandlung in seine Einzelstränge zerlegt werden, ohne dass dadurch die mikroskopisch sichtbare Chromosomenstruktur wesentlich verändert wird. Der auf diese Weise in situ, also im Chromosom auf dem mikroskopischen Präparat erzeugte DNA-Einzelstrang bildet nun mit einer passenden, das heißt komplementären, einzelsträngigen DNA-/RNA-Sonde einen stabilen Doppelstrang. Eine DNA-Sonde, die zu der Sequenz des Gens für den Blutfarbstoff Hämoglobin komplementär ist, hybridisiert nur an dem Chromosom, das das entsprechende Hämoglobingen enthält. Um nun noch zu erkennen, wo diese DNA-Sonde an das Chromosom hybridisiert hat, muss die Sonde eine Markierung tragen. Bei der FISH-Technik wird die DNA-Sonde vor der Hybridisierung markiert. Das Markieren der DNA-Sonde geschieht durch Ankoppeln von Molekülen, die man beispielsweise mit Antikörpern nachweisen kann. Nach der Hybridisierung wird die Sonde dann sichtbar gemacht, indem man Antikörper (an die wiederum fluoreszierende Farbstoffe gekoppelt sind) zugibt.
 
Die FISH-Technik bietet auch die Möglichkeit, verschiedene Gene gleichzeitig und am gleichen Chromosomensatz nachzuweisen. Voraussetzung ist, dass die DNA-Sonden mit unterschiedlichen Molekülen markiert werden können, für die es entsprechend spezifische Antikörper gibt. Sind die jeweiligen Antikörper mit verschiedenen Fluoreszenzfarbstoffen markiert, so können beide hybridisierten Sonden anhand der unterschiedlichen Farben nachgewiesen werden.
 
Eine besondere Form der In-situ-Hybridisierung ist das Chromosome-Painting, das spezifische Färben einzelner Chromosomen. Hierbei wird nicht nur ein einzelnes Gen als Sonde eingesetzt, sondern die gesamte DNA eines ganzen Chromosoms. Wird damit eine In-situ-Hybridisierung durchgeführt, so bindet (hybridisiert) die chromosomenspezifische DNA-Sonde an das entsprechende Chromosom in seiner gesamten Länge, und das Chromosom wird entsprechend angefärbt. Das Chromosome-Painting erleichtert die Chromosomenanalyse bei der pränatalen Diagnostik oder bei Tumorerkrankungen erheblich.
 
Prof. Dr. Erwin Schmidt, Mainz
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Gentechnik: Zerschneiden und Verbinden von DNA
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Genetik: Chemischer Aufbau und Funktion der Gene
 
 
Berg, Paul / Singer, Maxine: Die Sprache der Gene. Grundlagen der Molekulargenetik. Aus dem Englischen. Heidelberg u. a.1993.
 
Biotechnologie - Gentechnik. Eine Chance für neue Industrien, herausgegeben von Thomas von Schell und Hans Mohr. Berlin u. a. 1995.
 Brown, Terence A.: Genomes. Oxford 1999.
 Brown, Terence A.: Gentechnologie für Einsteiger. Aus dem Englischen. Heidelberg21996. Nachdruck Heidelberg 1999.
 Brown, Terence A.: Moderne Genetik. Aus dem Englischen. Heidelberg 21999.
 Darling, David C. / Brickell, Paul M.: Nucleinsäure-Blotting. Aus dem Englischen. Heidelberg u. a. 1996.
 
Gentechnik. Einführung in Prinzipien und Methoden, herausgegeben von Hans Günter Gassen und Klaus Minol. Stuttgart u. a. 41996.
 
Gentechnische Methoden. Eine Sammlung von Arbeitsanleitungen für das molekularbiologische Labor, herausgegeben von Hans Günter Gassen und Gangolf Schrimpf. Heidelberg u. a. 21999.
 Glick, Bernard R. / Pasternak, Jack J.: Molekulare Biotechnologie. Aus dem Englischen. Heidelberg u. a. 1995.
 Ibelgaufts, Horst: Gentechnologie von A bis Z. Studienausgabe Weinheim u. a. 1990. Nachdruck Weinheim u. a. 1993.
 Nicholl, Desmond S.: Gentechnische Methoden.Aus dem Englischen. Heidelberg u. a. 1995.
 Winnacker, Ernst-Ludwig: Gene und Klone. Eine Einführung in die Gentechnologie. Weinheim u. a. 1984. Veränderter Nachdruck Weinheim u. a. 1990.

Universal-Lexikon. 2012.

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